Wild West Geschichten aus dem Harz – Eine bleifreie Tour auf den Spuren der Gesetzlosen
“Gute Pferde springen knapp!” und so fällt die Entscheidung erst Freitagmittag das Wochenende endlich einmal wieder im Harz zu verbringen. Dadurch, dass sich die Grundausstattung für solche Touren dauerhaft im Bus und Anhänger befindet, ist der Rest an Equipment schneller gepackt als ich gedacht habe. Die Vorfreude nach einem ganzen
Jahr Abstinenz was einen Road-Trip mit der Familie anbelangt, hilft wohl ebenfalls dabei den kurzen Stressmoment zu überwinden. “Haben wir alles?”, “Ich denke schon und wenn nicht auch nicht so wild!”. Mit diesem letzten verbalen Austausch innerhalb unserer steinernen Wände verabschieden wir den Alltag und starten den alten Dieselmotor der mobilen Wochenendwohnung. Auf geht es in unser Mittelgebirge – Mal sehen welche Abenteuer uns dieses mal erwarten.
Das Navi führt uns ohne sonderlich bemerkbare Höhenmeter immer tiefer in den geschichtsträchtigen Harz. Dafür, dass unser Ziel das 1444 gegründete Bergdorf Hohegeiß auf 642 m Höhe liegt ein bislang unspektakulärer Auftakt, der sich aber auf den letzten acht Kilometern als eine echte Herausforderung für den Oldtimer-Transporter entpuppt. Vorbei an mächtigen Felsformationen kämpft sich das Auto im zweiten Gang die letzten Meter hoch auf den Gipfel. Als Belohnung warten für uns, die wir Bruno dabei inbrünstig angefeuert haben, Bergwiesen soweit das Auge reicht. Ein Anblick
der in mir immer wieder sofort eine innere Ruhe einkehren lässt. Es ist mittlerweile schon 18:00 Uhr als wir auf dem Campingplatz “Am Bärenbache” mit knurrnedem Magen einrollen. Ein kurzer aber herzlicher Check-In, die schnelle Platzwahlrunde über das Gelände und der Stellplatz für das Wochenende ist beparkt. Auf den vielen Terassen die hier angefahren werden können soll es für uns die Zweithöchste sein, da der Blick von diesem Punkt aus vor keinem Busch endet sondern auf ein Bergpanorama fällt wie man es sich nur wünschen kann. Der erste Handgriff gilt dem Feuer. Während die Kohle gut durchzieht richten wir uns ein und geniessen zwischendurch immer wieder den Blick gegenüber auf die Harzer Alm. Der Platz selbst ist mir nicht neu. Schon vor
10 Jahren habe ich hier mit meinen ältern Kindern eine tolle Zeit verbracht und bin gespannt was sich in dieser Dekade so alles verändert hat. Neben den freundlichen, neuen Pächtern fallen die gepflegten Stellplätze ins Auge, aber vor allem das erst wenige Tage zuvor nach einer Renovierung wiedereröffnete Waldschwimmbad macht bei Temperaturen um die 27 Grad eine geradezu verlockenden Eindruck. Aber für heute zu spät. Noch Essen, den Platz weiter erkunden und vor allem solange es irgendwie das schwindende Tageslicht noch zulässt den Spielplatz bespielen. Ein kleine Nachtwanderung zum Abschluss und dann ab ins Busbettchen, in dem man aufgrund der immer noch anhaltenden Wärme getrost auf eine Decke verzichten kann. Ruhig ist es hier oben, sehr ruhig und die Sterne scheinen ein wenig klarer zu leuchten als bei irgendwo dort unten am Leinegraben.
Die aufgehende Sonne und die damit noch weiter ansteigenden Temperaturen treiben uns zeitig aus den Federn. Zunächst ein paar knackige Brötchen aus dem Omnia Topf und dann geht es auf Entdeckertour nach Hohegeiß. Die 15-20% Steigung vom Campingplatz hinauf lässt die Motivation gerade bei unserer Tochter ziemlich schnell verpuffen. Der Ausblick den man zwischen den harztypischen, zum Wetterschutz mit einem farbigen Beschlag aus dicken Brettern versehenden Fachwerkhäusern erhaschen kann, sowie die vielen, wie eine Schnitzeljagd daherkommenden Informationstafeln, lassen die brennenden Waden
jedoch schnell wieder genesen. Die Geschichte zu den sogenannten “Wilddiebs-Tafeln”, die direkt an der Hauptstraße aufgreiht sind, erregt besondere Aufmerksamkeit. Zu sehen sind drei Grabplatten, die früher auf dem Hohegeißer Friedhof ihren Platz hatten. Sie erinnern an Heinrich Aukamm und Christian Klapproth, beide aus Benneckenstein, die als Wilddiebe im Hohegeißer Forstgebiet erschossen wurden. Aukam war 18 Jahre alt, als er den Wilddieb Klapproth als Treiber begleitete und dabei 1833 von dem Hohegeißer Förster Friedrich Wilhelm Eyme mit einer Kugel niedergestreckt
wurde. Förster Eyme starb im Jahre 1835, vermutlich durch einen Schuß Klapproths, der den Tod Aukams rächen wollte. Klapproth wiederum fiel 1841 dem gleichen Schicksal zum Opfer. Der Sohn des Försters beendete diese Vendetta und schickte den letzten der drei Beteiligten in die ewigen Jagdgründe. Eine Geschichte wie aus einem Wild West Film und wenn man die Historie des Ortes weiter betrachtet nicht die einzige. Denn durch die Tatsache dass Hohegeiß 1842 zum ersten Mal an das öffentliche Verkehrsnetz mittels waschechter Postkutschen angeschlossen wurde erhärten sich die
Parallelen zur Ära des Wilden Westens die in den USA ab 1850 auch mit solchen Ereignissen gespickt war. Tombstone in den Anhöhen des Harzes. Mit diesen Bildern im Kopf erscheinen selbst die Textzeilen des Niedersachsenlieds, dass hier oben 1926 vom Kind des Ortes Hermann Grote verfasst wurde, in einem anderen Licht: “Wo fiel’n die römischen Schergen. Wo versank die welsche Brut?. In Niedersachsen Bergen. An Niedersachsens Wut.” Auseinandersetzungen des heimischen Stammes mit den Invasoren aus weit entfernten Gebieten – Wer mag da nicht an die Indigenen Amerikas und
ihre zwangsläufigen Konflikte mit den Weissen denken. Das Gemälde am örtlichen Stromhäuschen verrät zudem, dass hier in der Vergangenheit (laut Chroniken sogar noch bis ins Jahr 1961) Viehtriebe stattgefunden haben. Wenn auch auf eine andere Art und Weise als im mittleren Westen der Vereinigten Staaten, aber im Grunde genommen aus denselben Gründen. Die Gier nach Kupfer- und Eisenerzen und der damit einhergehende Bergbau lassen sich als Ausgangspunkt der Ansiedlung und somit Gründung von Hohegeiß ausmachen – Ahnlich der “Boomtowns”, jene schnellwachsenden Goldgräberstädte, die während des kalifornischen Goldrauschs aus dem Boden gestampft wurden. Wild-West-Fakten, die von nun an den roten Faden dieser Tour spinnen. Apropos Geschichte, wer sich in die Zeit der guten, alten Tante Emma-Läden zurückversetzen möchte, kann dies in Hohegeiß ganz hervorragend. Der “Frisch-Markt Bruns” lässt mich in seinen Räumlichkeiten wieder
zum Kind werden. Am liebsten würde ich jetzt ein “Brauner Bär” aus der Eistruhe ziehen, wenn das Geld reicht vielleicht noch nach einer Packung Wild-West-Figuren aus Plastik greifen und mich damit auf die Eingangsstufen des Ladens setzen. Nun ja, zumindest haben wir eine Postkarte ergattert, mit der wir die Lieben in der Heimat grüssen. Als die nostalgischen Gedanken wieder weichen, fällt mein mein Blick auf das Plakat einer alten Eiswerbung vor dem Eingang. Warum trägt das dort abgebildete Kind beim Schlecken einen Cowboyhut? Egal, die
flimmernde Hitze zwingt uns zum Rückzug und die johlenden Stimmen, die vom Waldschwimmbad heraufhallen weisen das nächste Tagesziel. Noch schnell in den Badefummel und rein geht es in das erst 15 Tage zuvor wiedereröffnete Bad, das aufgrund seiner abgesenkten Lage inmitten der Berge den perfekten, nahezu windstillen Freizeitspaß bietet. Einfach herrlich und vor allem erfrischend, da wohl an diesen drückenden Tagen das neue Heizsystem noch nicht gänzlich auf Hochtouren läuft. Wie aus einer Bergquelle gespeisst hilft uns das kühle Nass die Lebensgeister wieder zu erwecken. Zurück am Bus geht
Ida allein auf Entdeckertour und ruft mich lauthals herbei. Sie hat eine Glasmurmel gefunden und auch zwei in eine Jeanshose und mit Cowboystiefeln bekleidete Beine entdeckt, die aus einem Beet ragen. Eine Deko, die anzieht und bei uns erneut den Wild-West-Trigger aufruft. Als wir im Flur der sanitären Anlagen dann auch noch ein Plakat der Westernstadt Pullman City entdecken, die unweit von hier in
Hasselfelde angesiedelt ist, steht der Sonntagsausflug am kommenden Tag schnell fest. Bei einer selbstgemachten Pizza Calzone stellen wir uns schon mal vor, wie Cowboys ihre Rinder durch Pulman City treiben und Ida auf einem kleinen Pony dem Horizont entgegenreitet. Der passende Sonnenuntergang zu diesem Kopfkino wird uns hier auf dem schönen Campinplatz “Am Bärenbache” live serviert. Romantischer, ruhiger Abschluss des Tages obgleich das in der Nacht aufziehende Gewitter uns noch einmal fordert. Sicherheitshalber rollen wir die Markise ein, bevor der heftige
Sturm sie in ihre Kleinteile zerlegt. Blitze zucken über den Himmel, die Bässe des Donners lassen die Scheiben vibrieren und der Regen plätschert heftig auf das Busblech. In unserem blauen Tippi aber bleibt es sicher und genmütlich. In Anlehnung an “Yakari”, Idas Lieblingskinderserie gehen Stiller Fels, Regenbogen und kleiner Donner dann zur Ruh und träumen von ihrem Einsatz in Pullman City.
Am nächsten, wieder regenfreien Morgen ist uns nach Speck und Bohnen. Reichen tut es leider nur für Rührei. Passt schon. Noch
schnell das Hab und Gut in den Planwagen und dann die 70 bleifreien Pferdestärken wieder auf den Harzer Wild-West-Trail losgelassen. Direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze gelegen springen wir von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt. Die Weite hier oben ist schon beeindruckend. Zu Rechten eine Kutsche, die über die grünen Weidegründe rollt, zur Linken das Feuerross der Harzer Schmalspurbahnen, das seine
Passagiere schnaufend von Benneckstein nach Drei Annen Hohne durch die einzigartige Landschaft chauffiert. Ab und zu ein Blick auf den sich einblendenden Brocken, den höchsten Berg des Mittelgebirges, dann passieren wir auch schon das Banner des Themenparks. Anders als bei anderen Einrichtungen dieser Art gibt es hier keine Parkplatzprobleme. Grosszügig angelegte, kostenfreie Parkflächen und für größere Furhwerke steht die Zufahrt auf den Wohnmobilstellplatz offen, den man mittels Zusatzgebühr gleich für mehrere Tage nutzen kann. Nicht ganz unwichtige Pluspunkte gleich bei der
Anreise. Schaut man sich die Motive auf den Campingwägen einmal genauer an, wird schnell klar, dass sich hier Menschen tummeln, die diesen Wild-West-Stil regelrecht verinnerlicht haben. Das wird uns noch mehr bewusst als wir die Geschäfte der Mainstreet in der Westernstadt betreten. Die Ladenbetreiber tragen nicht nur zeitgenössische Kleidung und Frisuren, sondern trumpfen mit einem Fachwissen auf, der einem mächtig imponiert. Die Ware ist exquisit und ein Paradies für Hobby-Cowboys.
Von Deko-Feuerwaffen, über Kleidung und Fahnen bis hin zu Schmuck, Andenken oder Haarschnitt – Hier bleiben keine Wünsche offen. Was in Hohegeiß langsam seinen Lauf nahm findet hier in Pullman-City für uns seinen unweigerlichen Höhepunkt. “Howdy!” – Von jetzt an mittendrin in der Welt des mittleren Westens im 19. Jahrhundert. Ida probiert jede Bank aus, jede hölzerne Skulptur muss von ihr beklettert werden. Wohl eine Art warmlaufen im Hinblick auf das was uns hier offensichtlich noch so erwartet. Ein Besuch im
örtlichen Sheriffbüro sowie ein Blick aus dem inneren eines Gefängniswagens lässt erahnen wie es den Gesetzlosen dieser Epoche ergehen konnte. Da die Zaubershow bereits vorüber ist, sind für Ida die Pferde für die Magie zuständig. Sie fühlt sich von Ihnen magisch angezogen und weist und damit den kürzesten Weg zu den Stallungen. Nachdem nun auch das obligatorische Ponyreiten erledigt ist und danach den Messerakrobaten
lauthals zugejubelt wurde, darf auch die Bildung über diesen Zeitabschnitt nicht fehlen. Liebevoll kuratierte Museen, eines sogar in einem originalgerteu nachgebauten Erdhaus, geben authentische Einblicke in das historische Leben der amerikanischen Ureinwohner sowie deren neue Nachbarn. Man merkt regelrecht wieviel Herzblut in dieses Projekt geflossen ist. Wie man lesen kann, war es den drei Gründern wichtig ein Erlebnisprogramm zu schaffen, das sich aus Comedy, Zauberei, amerikanischer
Geschichte mit Priorität auf Authentizität, Westernreiten und jeder Menge Spaß für die Kinder zusammensetzt. Zu Beginn der Wild West Show auf der Mainstreet wird zu unserem positiven Erstaunen auch auf ein weiteres Credo hingewiesen. Das Westernstadt-Gesetz beruht auf einem Schießverbot und der Gewaltfreiheit. Schießwütige Cowboys, duellierende Revolverhelden, Banküberfälle oder Aufhängeszenen um High-Noon so heisst es, gehören nicht zum Programm. Eine großartige
Ansage, die das ganze zu einem unbeschwertem Paradies für den Nachwuchs macht. Den Wildern Westen erleben geht eben auch so. Und wie, als die Longhorn- und Bisonherden den Boden unter ihren Hufen erzitteren lassen kann man die offenen Münder der Kleinen kaum zählen. Vielleicht kehrt nach dem Pignata schlagen im Vorfeld und den reichlich erbeuteten Süssigkeiten aber auch schon eine gewissen Schwere ein. Elterliches Wunschdenken, denn die reitend vorgetragene Geschichte dieses aufregenden Jahrhunderts lässt in keiner Altersklasse Ruhe aufkommen. Schnelle Postkutschen, Musik-Acts, clownartige Trunkenbolde, Revolverkunststücke und
echte Alltagsszenen aus dem Leben der Menschen damals ziehen alle Zuschauer in den Bann. Was für eine Show und das absolute Highlight dieses Tages. Hut ab! Auch wenn unsere Beine schon langsam die vielen absolvierten Meter merken, Goldwaschen muss noch sein. Ida ist darin mit ihren kleinen Fingern sehr behende und entdeckt mit Argusaugen
jedes noch so kleines Klümpchen Katzengold. Die vielen Spielplätze faszinieren das Kind so sehr, dass wir am Ende überhaupt keine Zeit mehr haben den Rest dieser Welt zu erforschen. Wehmütig trotten wir noch einmal durch die Häuserzeilen der Stadt in Richtung Ausgang.
Was für ein Tag, was für ein Wochenende! Auf der Rückfahrt durch das Mittelgebirs-Naturwunder bleibt mir nur ein Gedanke: “Der Wilde Westen ist eindeutig im Harz zu Hause!”. Kleine und große Beweise haben wir auf unserer Tour ja geliefert. Wer anderes behauptet spricht mit gepaltener Zunge! Howgh, ich habe gesprochen. Wiederkehr garantiert!